Wie nicht anders zu erwarten, richtet sich die Kritik schon gegen die Ähnlichkeitsregel. Nach dieser Regel gilt es, eine Krankheit mit einer Arznei zu heilen, die bei einem gesunden Menschen ähnliche Symptome hervorruft wie sie der Kranke aufweist. Daraus geht der Lehrsatz hervor: Ähnliches wird durch Ähnliches geheilt. Die Ähnlichkeitsregel verlangt vom Homöopathen, zur Diagnose das gesamte individuelle Symptombild seines Patienten zu erfassen und es dann für die Auswahl der geeigneten Arznei heranzuziehen. Aus dem Gesamtbild der Symptome erkennt dann der Homöopath den Zustand der «Verstimmung der Lebenskraft» seines Patienten. Diese Befragung des Patienten, die dazu dient, den Unterschied zwischen dem Zustand vor und nach der Erkrankung herauszufinden, und die sehr sorgfältig durchgeführt wird, wird von Schulmedizinern oft lediglich als Zuwendung zum Patienten verstanden. Aus dieser Zuwendung leiten sie dann ein besonderes Arzt-Patienten-Verhältnis ab, das «auf der einen Seite aus einem gläubigen Patienten und auf der anderen aus einem charismatischen Arzt besteht», was wiederum die besten Voraussetzungen für den Placebo-Effekt darstelle.
Diese Ansicht stimmt zwar nicht, aber sie ist verständlich. So mancher Schulmediziner beneidet die Homöopathen darum, dass sie sich mehr Zeit für ihre Patienten nehmen können als sie selbst zur Verfügung haben. Immerhin dürfte jedem klar sein, dass die so genannte «Anamnese» ein wichtiges Instrument zur Erkennung und Behandlung von Krankheiten ist. Bei wikipedia heißt es: «Eine sorgfältige Anamnese-Erhebung schließt biologische, psychische und soziale Fragen ein.»
Und doch ist sie meiner Meinung nach, lediglich eine zwar wichtige aber nur zusätzliche Möglichkeit zur Ergänzung einer Diagnose, die nach modernen Maßstäben ausgeführt wird. Selbst unter der Annahme, dass die Ähnlichkeitsregel Hahnemanns zu guten Diagnoseergebnissen führen kann, würde ich zusätzlich eine moderne Diagnose vorziehen. Der Grund ist einfach: Die Ähnlichkeitsregel birgt eine große Fehlerquote in der Beurteilung von Krankheiten durch den Therapeuten in sich. Doch es sind nicht nur die möglichen Fehlbeurteilungen. Die Ähnlichkeitsregel, die ja für jeden Patienten ganz individuell das richtige Heilmittel herausfinden will, hat auch dazu geführt, dass es es heute etwa 3000 verschiedene Homöopathika gibt. Besichtigen Sie einmal die homöopathische Abteilung eines Krankenhauses! Die Regale biegen sich unter der Last der braunen Arzneifläschchen. Hier wird das Herausfinden der verordneten Arznei wirklich zur zeitraubenden Suchaktion. Diese Vielzahl an Mitteln und Potenzen ist selbst so manchem Homöopathen zu viel und wahrscheinlich ist das auch der Grund für den Trend in der Homöopathie, bewährte Indikationen stärker zu fördern, d.h. in der Praxis, sich auf wenige, aber wirksame Grundsubstanzen zu konzentrieren und damit das Angebot einzuschränken und übersichtlicher zu machen. Homöopathen, die diese Richtung verfolgen, sind der Meinung, dass homöopathische Arzneien nicht ein ganz bestimmtes Leiden eines ganz bestimmten Menschen heilen sollen, sondern so zusammengestellt und ausgewählt werden sollten, dass sie alle Arten des gleichen Leidens bei möglichst vielen Patienten heilen oder lindern können (Beispiel: alle Arten von Kopfschmerzen!).
Tatsächlich ist die Ähnlichkeitsregel und alles, was damit im Zusammenhang steht, für die Darlegung der Wissenschaftlichkeit der Homöopathie lediglich ein Teilbereich. So sind die Homöopathen im Laufe der Zeit von der Vorschrift, immer nur einen einzigen Wirkstoff zu potenzieren abgewichen und stellen heute auch Kombinationspräparate her. Allerdings ist es paradox, fertig potenzierte Heilmittel, von denen das eine in D2-Potenz vorliegt, ein anderes wiederum in D4 oder D6 und diese unterschiedlichen Verdünnungsgrade zu einem Komplex zusammen zu schütten. Warum nicht gleich die Urtinktur komplex herstellen? Vom Standpunkt der Energie aus gesehen, sind unterschiedlich starke Ladungen, die zusammen kommen, unerheblich, denn das fertige Komplexmittel nimmt immer die höchste Potenz an, die eines der Mittel aufweist.
Außerdem hat man erkannt, dass man praktisch jeden bekannten Pflanzen- bzw. Heilkräuterextrakt, dessen Heilwirkung erwiesen ist, zu einem Homöopathikum verarbeiten kann. Damit werden sehr exotisch (und manchmal auch unappetitlich) anmutende Mittel (z.B. Nosoden) nach und nach immer mehr von moderneren Wirkstoffen der Pflanzenheilkunde abgelöst.
Die genannten Gründe führen dazu, dass eine modernere Art der Homöopathie eine Arznei nicht mehr nach den Symptomen, sondern nach dem Erscheinungsbild der Erkrankung ausgewählt wird.. Ich bin überzeugt davon, dass damit der Kritik an der Ähnlichkeitsregel nach und nach der Boden entzogen wird.
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